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Thomas der Ungläubige, ein Vorbild für alle
 
 

«Ich bin wie der ungläubige Thomas»! Jeder von uns hat mindestens schon einmal diese kurze Erklärung gehört, die eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Religion rechtfertigen soll, obwohl die betreffende Person diesen Jünger Jesu gar nicht kennt, von dem der Apostel Johannes in seinem Evangelium berichtet. Deshalb wollen wir versuchen, die biblische Erzählung genauer zu betrachten, um Thomas besser kennen zu lernen.

Gleich nach der Kreuzigung Jesu verstecken sich seine verängstigten Jünger in einem gut verschlossenen Raum, wahrscheinlich um zu beten und sich gegenseitig zu ermutigen. Nur Thomas fehlt aus unbekannten Gründen. War er wegen des grausamen Todes seines Herrn zu niedergeschlagen? Die Bibel gibt uns dazu keinerlei Einzelheiten. Soviel ist sicher, dass ein unerwartetes und unglaubliches Ereignis passiert. Christus erscheint seinen Jüngern, obwohl die Türen des Hauses fest verschlossen sind! Um ihr Vertrauen zu gewinnen, zeigt er ihnen seine Hände mit den Spuren der Nägel und die Wunde an seiner Seite. Die Freude darüber ist natürlich unbeschreiblich, und bei dieser Gelegenheit empfangen sie auch den Heiligen Geist für ihre spätere Mission.

Nach diesen denkwürdigen Augenblicken erfährt Thomas von seinen Weggefährten, dass Jesus wirklich auferstanden ist, wie er es seinerzeit angekündigt hat, und er den Jüngern erschienen ist. Aber dieser Jünger kann es einfach nicht glauben, da er anscheinend zu verzweifelt ist. Deshalb verlangt er Beweise und sagt: «Das glaube ich erst, wenn ich seine durchbohrten Hände gesehen habe. Mit meinen Fingern will ich sie fühlen, und meine Hand will ich in die Wunde an seiner Seite legen. Eher werde ich es nicht glauben» (Johannes 20.25, Hoffnung für alle. Das Neue Testament). Der Bericht seiner Gefährten ist einfach zu schön, um wahr zu sein, und trotzdem möchte er doch so gern daran glauben!

Jesus wird Thomas seinen Wunsch erfüllen, die Spuren der Kreuzigung zu sehen, denn er kennt dessen Aufrichtigkeit und tiefe Verzweiflung. Darum zeigt sich Christus acht Tage später ein zweites Mal seinen Jüngern, die wie vorher in einem gut verschlossenen Raum versammelt sind. Er wendet sich direkt an Thomas, ohne ihm einen Vorwurf zu machen und sagt ihm lediglich: «Lege deinen Finger auf meine durchbohrten Hände! Gib mir deine Hand und lege sie in die Wunde an meiner Seite! Zweifle nicht länger, sondern glaube!» (Johannes 20.27) und Thomas antwortet ihm, während er ihn anbetet: «Mein Herr und mein Gott!» (Johannes 20.28). Jesus versäumt es aber nicht, dem ungläubigen Jünger eine Lektion zu erteilen, indem er erklärt: «Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Wie glücklich können erst die sein, die nicht sehen und trotzdem glauben» (Johannes 20.29).

Offenbar empfindet Thomas vor dem Erscheinen seines Herrn eine tiefe Traurigkeit. Da die Kreuzigung Jesu für ihn ein unüberwindbarer Schicksalsschlag ist, braucht er wirklich konkrete Beweise, um die gute Nachricht seiner Kameraden glauben zu können. Die Tatsache, dass er sich nicht mit ihnen versammelt hat, verschlechterte noch seinen angeschlagenen Zustand. Wie wir aber feststellen können, ist Thomas immer noch für den Glauben zugänglich, braucht aber tatsächlich die Gegenwart Jesu. Trotz dieser momentanen Schwäche lebt sein Meister immer noch in seinem Herzen. Jesus weiss das ganz genau und verzeiht ihm spontan seine Ungläubigkeit.

Ja, Thomas kann tatsächlich ein Vorbild für die Christen sein, die sich in Notsituationen befinden, vor allem bei Schicksalsschlägen, wie z.B. langfristige Arbeitslosigkeit, eine unheilbare Krankheit oder der plötzliche Tod eines geliebten Menschen. In diesen Augenblicken scheinen selbst langjährige Christen nicht mehr in der Lage zu sein, diese Ereignisse zu bewältigen und reagieren dann genauso wie Thomas. Sie ziehen sich zurück, verschliessen sich der Aussenwelt gegenüber, werden von Zweifeln geplagt, was ihren Glauben betrifft, und sie fragen sich, ob sich Gott überhaupt noch für sie interessiert. Man braucht sich dieser Phasen des Zweifels aber nicht zu schämen, denn schon lange vor uns haben sich bekannte Persönlichkeiten in der Bibel Fragen über das Problem des Bösen und des Leidens gestellt. Hierbei genügt es, die Psalmen 37 und 73 zu lesen sowie die bekannten Klagelieder des Jeremias und das Buch Hiobs. Dennoch sollten diese Zweifel und bohrenden Fragen hinsichtlich der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen nur vorübergehend aufkommen und danach den Glauben festigen. Es ist besser, diese Phase zu durchlaufen als einen lauwarmen Glauben zu haben, den der Apostel Johannes im letzten Buch des Neuen Testamentes energisch kritisiert: «Ich kenne dich genau und weiss alles, was du tust. Du bist weder kalt noch heiss. Ach wärest du doch das eine oder das andere! Aber du bist lau» (Offenbarung 3.15-16). In schwierigen Zeiten sollten die Christen die Antworten auf ihre Fragen bei bibelfesten Gläubigen suchen. Dank ihrer Bibelkenntnisse und persönlichen Erfahrungen wird die zeitweilig geschwächte Person wieder einen Neuanfang machen können und mehr geistliche Reife erreichen.

Auch die Ungläubigen können sich Thomas zum Vorbild nehmen. Da sie ja ihren Glauben noch nicht gefunden haben, sind sie durchaus berechtigt, handfeste Argumente zu verlangen, um auch zum Glauben zu gelangen. Aus diesem Grund sollten sie erst einmal das Wort Gottes entdecken und genauer studieren, anstatt den unklaren, unbiblischen Traditionen und esoterischen Legenden Glauben zu schenken. Es ist wirklich eine vernünftige Einstellung, nicht irgendetwas und irgendjemandem zu glauben, denn «der Glaube kommt allein aus dem Hören der Botschaft; die Botschaft aber gibt uns Christus» (Römer 10.17). Wer aufrichtig sucht, wird den richtigen Weg finden, denn der Geist Gottes wird es ihm zur Kenntnis bringen. Dabei genügt es, einfach auf Gottes Stimme im Gewissen zu hören und sich nicht dagegen zu wehren. Dann wird jeder Gottessuchende dank unerwarteter Umstände seriöse Antworten auf seine Fragen erhalten.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Existenz Jesu Christi von den weltlichen Historikern seiner Zeit bestätigt wurde und seine Jünger die Auferstehung ihres Herrn bezeugten. Sie waren sogar bereit, ihm ihr Leben zu opfern, was sicherlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn er nicht das Grab verlassen hätte! Die ersten Christen mussten tatsächlich dem lebendigen Christus begegnet sein, und ihre Zeugenaussagen sind durchaus glaubwürdig. So begreifen wir besser, warum Thomas – ein Vorbild für alle – den auferstandenen Christus berühren wollte, um glauben zu können. Denn wie der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther betont: «Wenn aber Christus nicht von den Toten auferweckt wurde, ist euer Glaube nichts als eine Illusion» (1.Ko 15.17).

Karin Bouchot

 
 
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